Das nationale Parlament plant, das Phänomen der organisierten Insolvenzbetrügerei und der gezielten Zerschlagung von Unternehmen in der Schweiz zu unterbinden und mit einer Vielzahl von Gesetzesände- rungen zu bekämpfen. Werden diese beschlossenen rechtlichen Änderungen tatsächlich ausreichen, um die missbräuchliche Insolvenz langfristig einzudämmen?

Für Selbstständige ist es ein Albtraum:

Erledigte Aufträge oder Warenlieferun- gen an scheinbar seriöse Unternehmen bleiben unbezahlt und auf Mahnungen wird nicht reagiert. Selbst das folgende Zwangsvollstreckungsverfahren führt nicht zum gewünschten Ergebnis.

Nach Abschluss eines Insolvenzverfah- rens bleibt in den meisten Fällen kaum noch Vermögen übrig, das unter den zahlreichen Geschädigten aufgeteilt werden kann. In vielen Fällen stellen die Insolvenzrichter solche Verfahren aufgrund mangelnder Vermögenswerte ein, und die Geschädigten gehen leer aus. Denn nur aus persönlichen Grün- den ist jemand bereit, die Kosten für das Insolvenzverfahren im Voraus zu übernehmen und somit «gutes Geld schlechtem» hinterherzuwerfen. Dies muss sich ändern, da die eidg. Räte ein Massnahmenpaket gegen soge- nannte gewillkürte Konkurse geschnürt hat.

Der Weg in die Insolvenz

Ein Unternehmen wird nicht von heute auf morgen zahlungsunfähig, sondern in der Regel gibt es bereits im Vorfeld verschiedene Gründe, die schiefgelau- fen sind. Oftmals haben die Unterneh- mensführer Warnsignale, sogenannte Red Flags, nicht ausreichend beachtet oder schlichtweg ignoriert.

In Branchen wie dem Bauwesen ziehen sogenannte Wegwerfgesell- schaften – Unternehmen, bei denen Insolvenz Teil des Geschäftsmodells ist – Aufträge mit Dumpingpreisen an Land. Um diese unrentablen Aufträ- ge finanziell zu bewältigen, zahlen die Eigentümer öffentliche Abgaben oder Sozialversicherungsbeiträge nicht. Auf diese Weise können finanziell ange- schlagene Unternehmen ihre Liquidität vorübergehend sichern und am Markt überleben – jedoch ist der Schaden be- reits angerichtet. Zusätzlich bereichern sich die Eigentümer oft auf Kosten des Unternehmens, und irgendwann türmt sich der Schuldenberg auf, sodass das Unternehmen nicht mehr zu retten ist. In solchen Fällen setzen sie auf die «Rettung in der Not», den gewillkürten Konkurs. Dies tritt auf, wenn eine juris- tische Person absichtlich in die Insol- venz geführt wird und ihr dabei sämtli- che Vermögenswerte entzogen werden. Die abtretenden Organe beauftragen dafür eine Vermittlerin oder einen Ver- mittler gegen Honorar, die Unterneh- mung «zu bestatten» und somit die angehäuften Schulden loszuwerden. Zu diesem Zweck setzen die Vermittler sogenannte Strohleute als Scheinorga- ne ein, die das Unternehmen absicht- lich in die Insolvenz führen. Vorher schaffen die bisherigen Eigentümer alle werthaltigen Vermögenswerte beiseite.

Das Scheinorgan bestellt dann Güter aller Art im Namen des Unternehmens, ohne dafür zu bezahlen, und bereichert sich selbst. Eine Absicht zur Bezahlung besteht in der Regel nicht mehr.

Die Strippenzieher im Hintergrund

Die Geschicke des überschuldeten Unternehmens werden von sogenann- ten Strippenziehern gelenkt, Personen im Hintergrund, die sich nicht selbst strafrechtlicher Verfolgung aussetzen wollen. Auch sie bereichern sich rechts- widrig an den betrügerischen Aktivitäten des Scheinorgans. Letztendlich bleibt in dem sich auflösenden Unternehmen nichts außer Schulden übrig.

Die ausscheidenden Organe wollen sich in einem drohenden Strafverfah- ren nicht dem Vorwurf der Misswirt- schaft stellen. Allerdings droht eine Verurteilung durch die Strafverfol- gungsbehörden, wenn festgestellt wird, dass das Unternehmen bereits vor der Insolvenz überschuldet war und die ge- setzlich vorgeschriebene Meldung der Überschuldung unterlassen wurde. Da- bei hilft es den ausscheidenden Orga- nen nicht, wenn sie ihr Unternehmen einem Vermittler anvertrauen und es durch ein Scheinorgan in die Insolvenz treiben lassen. Denn die Fehler ereig- nen sich in der Regel bereits vor dem Konkurs.

Wie plant das Parlament, gegen diese Praktiken vorzugehen?
Ab 2024 werden fünf Massnahmen den Kampf gegen missbräuchliche In- solvenzen verbessern:

  • Wenn das Insolvenzamt in einem In-solvenzverfahren strafbares Verhal- ten der Organe feststellt oder einen Missbrauchsverdacht hat, muss es zwingend Strafanzeige bei der zu- ständigen Staatsanwaltschaft erstat- ten. Bei Verurteilungen durch das Gericht können Tätigkeitsverbote für straffällige Personen verhängt wer- den, was zur Löschung ihrer Funkti- onen im Handelsregister für eine be- stimmte Zeit führt. Dafür muss aber eine Strafe von über sechs Monaten verhängt werden.
  • Die Datenbanken der Rechtseinhei- ten, also von Unternehmen und deren Personen, werden im Handelsregister zusammengeführt. Dadurch wird es für jeden möglich, den beruflichen Werdegang von Personen nachzu- vollziehen und festzustellen, welche Funktionen sie in welchen Unterneh- men innehaben oder hatten. Personen mit gerichtlich auferlegten Tätigkeits- verboten werden als gelöscht markiert.
  • Der Verkauf von leeren Unterneh- menshüllen wird im Obligationenrecht durch den neu geschaffenen Art. 684a verboten. Diese Bestim- mung gilt für Unternehmen, die kei- ne Geschäftstätigkeit mehr ausüben, keine Vermögenswerte besitzen und überschuldet sind. Handelsregis- terämter können bei Verdacht auf Missbrauch Bilanzen anfordern und gegebenenfalls die Registrierung von Eigentümerwechseln verweigern.
  • Die rückwirkende Abmeldung einer Revision wird abgeschafft. In Zukunft ist eine Abmeldung nur für das kom- mende Jahr möglich, und dies auch nur, wenn die gesetzlichen Voraus- setzungen erfüllt sind.
  • Öffentlich-rechtliche Anstalten, wie beispielsweise Steuerämter oder die schweizerische Unfallversicherung SUVA, können nicht mehr wie bis an- hin auf Pfändung betreiben, sondern nur noch (zwingend) auf Konkurs.

Die im Frühjahr 2022 vom Parlament verabschiedeten Gesetzesänderungen sind ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Den Missbrauch von Insol- venzen werden sie jedoch nach ihrer geplanten Umsetzung am 1. Januar 2024 kaum vollständig verhindern kön- nen. Dies liegt daran, dass nur Gerichte Tätigkeitsverbote aussprechen können, während die meisten Fälle bereits von der Staatsanwaltschaft mit Strafbefeh- len erledigt werden. Das bedeutet, dass es viel weniger Tätigkeitsverbote geben wird, als das Parlament beabsichtigt hat. Es bleibt zu hoffen, dass die Kom- promisse im Rahmen der parlamenta- rischen Beratungen nicht dazu führen, dass die gesetzlichen Änderungen zur Bekämpfung von missbräuchlichen In- solvenzen wirkungslos werden.