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Bewältigung von Konflikten und aussergerichtliche Streitbeilegung

Im Alltag kommt es aus den verschiedensten Gründen zu Konfliktsituationen. Das ist völlig normal und Konflikte sollen auch ausgetragen werden, das gehört zu unserem Leben. Aber wie wir sie austragen, können wir weitgehend selber beeinflussen. Die Wirtschaftspsychologie nimmt sich unter anderem auch diesen Themen an: Mit den sogenannten ADR-Verfahren (siehe nachstehend) können Konfliktsituationen aussergerichtlich gelöst werden. Das spart, Zeit, Nerven, Kosten und psychische Belastungen. Zivilprozesse können lange dauern, sehr nervenaufreibend sein und im Ergebnis entspricht das Resultat oftmals nicht den Vorstellungen der Streitparteien.

Die Wirtschaftsmediation hat sich als aussergerichtliche Konfliktbeilegung in der Praxis als zielführendes Mittel bei scheinbar fast unlösbaren Streitigkeiten herausgestellt. Erfahrene Mediatorinnen und Mediatoren sind geübt darin, mit spezifischen, aber nicht manipulativen Fragetechniken hinter die Positionen von Konfliktparteien zu blicken und der Gegenseite aufzuzeigen, welche Interessen sich tatsächlich hinter den meist beharrlich vertretenen Standpunkten des Gegenübers verbergen. Ein zentraler Aspekt dieser Technik ist die Lösungsfindung, ohne dass die Parteien von ihren Positionen abrücken müssen und dadurch ihr Gesicht verlieren könnten. Solches Vorgehen baut Missverständnisse zwischen Streitparteien ab und fördert das gegenseitige Verständnis für die Interessen (nicht Positionen) der Gegenseite. Plötzlich erkennen die Parteien Gemeinsamkeiten, die den Konfliktparteien zuvor verborgen geblieben waren. Wirtschaftsmediationen sind je nach Fall sehr anspruchsvoll und erfordern viel Feingefühl, Menschenkenntnis und psychologisches Verhandlungsgeschick.

Im Treuhandalltag erleben wir viele Konfliktsituationen zwischen Parteien; aus diesem Grund  haben wir uns in der Wirtschaftspsychologie und Wirtschaftsmediation ausbilden lassen, um Klienten bei Konflikten zu unterstützen.

Quellenverzeichnis zur den nachstehenden Beiträgen finden Sie hier.

 

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ADR-Verfahren* sind Konfliktlösungsmethoden, um eine aussergerichtliche Einigung in Streitfällen zu erzielen. Von diesen Streitbeilegungsverfahren gehört die Wirtschaftsmediation zu den erfolgversprechendsten Varianten einer Konfliktlösung. Dabei versuchen zwei oder mehrere Parteien, ihre divergenten Interessen mit Hilfe eines Mediators oder einer Mediatorin einvernehmlich zu lösen. Entscheidend bei dieser Art der Konfliktlösung ist, dass den Mediatoren keine Entscheidungsgewalt zukommt und die Teilnahme sowie der Vertragsabschluss am Verfahrensende zwischen den Parteien absolut freiwillig sind. Verantwortlich für das Verfahrensergebnis sind somit nicht die Mediationspersonen, sondern die Parteien selbst, lassen sich aber von den Vermittlungsspezialisten und -spezialistinnen durch einen strukturierten Verfahrensprozess leiten.

* Alternative Dispute Resolution (alternative, aussergerichtliche Konfliktlösung); in den USA entwickelt.

Die Begrifflichkeiten in der Grafik* bedeuten:

  • Ergebnissicherheit fragt nach der Wahrscheinlichkeit, bei der Streitbeilegung mit einem Ergebnis rechnen zu können.
  • Verfahrenskontrolle bezieht sich auf den Umfang, aufgrund diesem Streitparteien auf das Ergebnis einwirken können.
  • Ergebnisverantwortung bezeichnet den Grad der Eigenverantwortung für die Lösungsfindung. Sie soll möglichst nicht Dritten überlassen werden und damit in eigenen Händen bleiben.

Die höchste Verfahrenskontrolle und Ergebnisverantwortung ist gemäss dieser Grafik dann gegeben, wenn sich die Parteien untereinander ohne Drittbeteiligung einigen können. Dafür nimmt die Ergebnissicherheit zur Streitbeilegung signifikant ab.

Fazit: In Bezug auf hohe Ergebnissicherheit bringt die Wirtschaftsmediation die grösstmögliche Ergebnisverantwortung bei geringer Abgabe der Verfahrenskontrolle mit sich. Dadurch eignet sich diese alternative Variante für eine Konfliktbeilegung vor allem dann, wenn eine weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien möglich ist und gewünscht wird.

*Quelle Grafik: Eigene Darstellung in Anlehnung an (Girsberger & Peter, 2019, S. 9 Rz. 24), indem der Fokus auf gewünschte, grösstmögliche Verfahrenskontrolle bei hoher Ergebnissicherheit gelegt wird.

Um Konflikte begreifen zu können, muss menschliches Verhalten verstanden werden. Mit einem kleinen Exkurs in die Welt menschlichen Denkens soll nachstehend in knapper Form aufgezeigt werden, wie der Mensch denkt und weshalb er vielleicht anders reagiert, als man sich das erhofft hat.

 

Menschliches Verhalten

Unser Denken und Handeln

Um Konflikten im hektischen Alltag begegnen zu können, muss menschliches Verhalten verstanden werden. Menschen neigen dazu, ihr Handeln vor dem Hintergrund des emotional determinierten binären Codes als gut oder schlecht, angenehm oder unangenehm, ja oder nein und als schwarz oder weiss zu empfinden. Die im limbischen System* verankerten Ziele werden unbewusst für unser Handeln und Denken verwendet. Wir werden also stärker vom Unterbewusstsein gelenkt, als man dies gemeinhin annehmen möchte. Unser eigenes Verhalten wird stark vom Verhalten des Gegenübers geprägt. Das zeigt sich vor allem in unserer Sprechlage, der Körperhaltung, der Mimik und dem grundlegendsten Bedürfnis, vom Gesprächspartner verstanden zu werden. Dem tief verwurzelten Zugehörigkeitsbedürfnis des Menschen folgend haben wir grösseren Einfluss auf jemand, der seiner Ansicht nach glaubt, zur selben Gruppe zu gehören wie wir selbst. Diese wesentliche Erkenntnis im Umgang mit Menschen stellt eine zentrale Grundlage bei der Konfliktbewältigung im Alltag zwischen Parteien mit unterschiedlichen Ansichten dar (Girsberger & Peter, 2019, S. 49 – 50 Rz. 171 – 177).

Unser Gehirn unterscheidet funktional zwischen System 1 und System 2:

  1. Das System 1 fällt spontane Entscheide aus dem limbischen System und ist äusserst schnell, quasi unser Arbeitsspeicher, auf den jederzeit und verzögerungsfrei zugegriffen werden kann. Es benötigt wenig Rechenleistung und ist zuständig, um unser Überleben zu sichern und im Falle einer Gefahr sofort aufgrund unserer Lebenserfahrung und Instinkten zu reagieren. Es unterliegt Sinnestäuschungen, weil es nicht auf das System 2 zugreift und das, was wir als Erstes wahrnehmen, nicht weiter hinterfragt. Was System 1 gerade wahrnimmt, scheint ihm deshalb plausibel, solange es nicht der abgespeicherten Lebenserfahrungsdatenbank im limbischen System widerspricht; es reagiert dabei intuitiv und nicht immer rational.
  2. Das System 2 ist wesentlich langsamer, energiefressender und benötigt mehr Zeit, um zu einer Lösung zu kommen. Allerdings sind Entscheidungen aus diesem System rationaler und überlegter. Die Menschen vermeiden tendenziell, das ermüdende und anstrengendere System 2 bei der täglichen Denkleistung zu aktivieren. Ist eine Entscheidung aus Sicht von System 1 plausibel, glauben wir, System 2 dafür gar nicht zu benötigen, verlassen uns darum auf die im Unterbewusstsein schlummernden sowie eintrainierten Erfahrungen und Stereotypen.

Unser Handeln und Denken wird also vorwiegend von System 1 gelenkt, um das Gehirn nicht ständig zu überlasten (Kahneman, 2015, S. 33).

 

Kognitive Täuschungen

Als Verfügbarkeitsheuristik wird ein typischer Vorgang in unserem limbischen System (System 1) des Hirns bezeichnet. Je leichter wir uns an Referenzbeispiele erinnern, desto höher schätzen wir deren Häufigkeit bei entsprechenden Situationen ein. Unser Hirn verwendet dadurch Abkürzungen, um komplexe Lebenssachverhalte auf rasche, verfügbare und einfache Antworten zu reduzieren. Würde das Gehirn für jeden noch so kleinen Sachverhalt das System 2 bemühen müssen, wären wir wegen der fortwährenden Denklast ständig überfordert. Diese Abkürzungen des Gehirns führen allerdings zu Fehlannahmen bezüglich Häufigkeit oder Wahrscheinlichkeit von Ereignissen (Girsberger & Peter, 2019, S. 54 Rz. 193).

Eine weitere kognitive Täuschung – verwandt mit der Verfügbarkeitsheuristik – ist der sog. Ankereffekt. Ihm eigen ist der Umstand, dass Menschen einen Wert für eine unbestimmte Grösse erwägen, bevor sie diese Grösse auch tatsächlich abgeschätzt haben. In einer Vergleichsverhandlung setzt meistens das erste Angebot einen solchen Ankereffekt. Dieses Phänomen erfährt vor allem in der experimentellen Psychologie einen hohen Stellenwert (Kahneman, 2015, S. 152).

Interessant ist auch der Besitztumseffekt: Forscher fanden heraus, dass wir einem Objekt höheren Wert zumessen, wenn es uns selbst gehört. Wir sind also weniger bereit, für etwas mehr zu bezahlen, wenn es uns nicht gehört als was wir preislich erwarten, wenn wir es selbst besitzen und veräussern wollen. Dieses Verhalten hat ein Zusammenhang mit der weiter unten beschriebenen Verlustaversion (Kahneman, 2015, S. 356 ff.).

Confirmation Bias ist ein menschliches Phänomen, eine Entscheidung oder Meinung über eine Wahrnehmung mit Informationen zu hinterlegen, die unsere (vorgefasste) Meinung unterstützt. Informationen, die der vorgefassten Meinung zuwiderlaufen, werden ignoriert. Eine mit diesem Phänomen verwandte kognitive Fehlleistung ist die selektive Wahrnehmung: Unser System 1 überzeichnet die Wahrscheinlichkeit des Ereigniseintritts, wenn diese mit unserer gegenwärtigen Überzeugung korreliert (Kahneman, 2015, S. 108).

Die Risiko- und Verlustaversion beruht auf der menschlichen Chancen- und Risikobewertung eines Umstandes. Untersuchungen haben gezeigt, dass bei einer hohen Gewinn- oder Verlustwahrscheinlichkeit die Menschen eher dazu neigen, mehr Risiken einzugehen, um drohenden Verlust abzuwenden als Gewinn erzielen zu wollen. Anders verhält es sich bei geringer Gewinn- und Verlustwahrscheinlichkeit: Hier waren die Probanden in der Untersuchung eher bereit gewesen, hohe Risiken für die Gewinnerzielung einzugehen statt für die Verlustverhinderung aufzuwenden (Kahneman, 2015, S. 390 f.).

* Gehirnregion für unser emotionales und spontanes Empfinden / Verhalten.

Ziele der Wirtschaftsmediation

Mit einer Wirtschaftsmediation können verschiedene Ziele verfolgt werden. Dies hängt zu grossen Teilen vom Konflikt selbst ab, aber auch von den Interessen der Streitparteien, den Konflikt möglichst rasch und ohne Gerichtsverfahren beseitigen zu können.

 

Kostenersparnis

Eine Wirtschaftsmediation ist in den meisten Fällen kostengünstiger als zeitaufwendige Prozesse vor den Schranken. Die unterliegende Partei muss je nach Entscheid nebst den Gerichtskosten auch Partei- und Anwaltskosten, Kosten für die Beratung, allfällige Gutachten Dritter und interne Aufwendungen (Opportunitätskosten) übernehmen. Nicht zu unterschätzen sind die emotionalen Belastungen während Gerichtsprozessen, vor allem wenn sich das Verfahren über lange Zeit erstreckt. Die Kostenersparnis kommt letzten Endes nicht nur den Streitparteien zugute, sondern auch dem Staat, indem Gerichtsverfahren vermieden und Gerichte entlastet werden.

 

Zeitgewinn

Manchmal stehen die Streitparteien wirtschaftlich unter Zeitdruck. Ein Mediationsverfahren kann in der Regel sehr viel effizienter durchgeführt werden als dies in einem Gerichtsverfahren möglich ist. Erstinstanzliche arbeitsrechtliche Prozesse dauern je nach Komplexität in der Regel über ein Jahr; durch den Weiterzug eines Urteils an die zweite kantonale Instanz verlängert sich das Gerichtsverfahren entsprechend. Zeitgewinn bedeutet aber auch Reduktion von Opportunitätskosten (Erlöse, die während eines Streitverfahrens ausbleiben), darum ist die Zeitgewinnung einer der zentralsten Ansätze, eine Wirtschaftsmediation durchzuführen. Ökonomische Faktoren bilden insbesondere die Rechtssicherheit und der unternehmerische Handlungsspielraum, die einer Blockade in der Unternehmensplanung nachhaltig entgegenwirken. Dass hinter einem Zeitgewinn vor allem aber auch finanzielle Interessen stecken könnten, wird von den Parteien in den wenigsten Fällen offengelegt.

 

Win-Win-Lösung

In der Wirtschaftsmediation sollen vor allem die Interessen hinter den vertretenen Positionen sichtbar gemacht werden, deshalb eröffnen sich sehr viele Lösungsvarianten im Gegensatz zur Strategie, hartnäckig seine Position vertreten zu wollen. Ziel einer Mediation ist nicht primär, Kompromisse zu suchen, sondern basierend auf den unterschiedlichen Bewertungen eigener Interessen einen Kooperationsgewinn zu erzielen. Ein Beispiel für eine Win-Win-Lösung ist der sogenannte „Organgen-Fall“: Dabei streiten sich zwei Geschwister um eine Orange, jedes der beiden möchte unbedingt die ganze Orange haben. Wohl jeder Aussenstehende würde die Orange hälftig teilen und wäre der Meinung, damit beiden Seiten gerecht worden zu sein. Vielleicht aber liegen die Interessen der beiden Geschwister völlig anders als vordergründig erkennbar (deshalb wollte nämlich keines der Geschwister teilen). Fragen wir stattdessen nach den Interessen, weshalb beide die gesamte Orange beanspruchen, kommt Erstaunliches zutage: Eines der beiden braucht nur die (geraffelte) Schale der Orange, um damit einen Kuchen zu backen, während das andere am Fruchtfleisch interessiert ist, um damit einen Orangensaft zu pressen.

Dieses kleine Beispiel zeigt eindrücklich, dass die hälftige Teilung der Orange für beide Geschwister nicht zielführend gewesen wäre, im Gegenteil. Keines hätte damit seine Interessen vollumfänglich befriedigen können. Hinterfragt man jedoch die Motive hinter der Position, kann eine bessere (Kooperations-)Lösung für beide Interessen gefunden werden, als dies bei positionsbezogenen Ergebnissen der Fall ist.

Bei Kompromissen sind die Parteien in der Regel Gewinner und Verlierer gleichermassen. Um der Gegenpartei Zugeständnisse machen zu können, muss auf einen Teil seines Anspruchs verzichtet werden. Wird die Position von einer Partei durchgesetzt, wird sie zur alleinigen Gewinnerin, währenddem der Verhandlungspartner unterliegt. Es kommt somit zu einer Win-Lose-Lösung. Im Mediationsverfahren lernen die Parteien, sich von ihren Positionen zu lösen und sich auf die Interessen des Gegenübers einzulassen und zu verstehen, weshalb eine Position vertreten wird. Die Mediation verbessert somit die Kommunikation zwischen den Streitparteien und führt zu strukturiertem Verhandeln.

 

Befriedung und Beziehungserhalt

Ein wichtiger Aspekt der Wirtschaftsmediation kann aber auch die Befriedung von Beziehungen sein. Es geht darum, eingetretener Vertrauensverlust zu eliminieren und neues Vertrauen aufzubauen oder wiederherzustellen, sodass sich die Konfliktparteien (wieder) gegenseitig respektieren. Zentral dabei ist das gegenseitige Verständnis für die Interessen des Gegenübers, wobei das nicht heissen muss, dass die Parteien mit den Ansichten der Gegenseite einverstanden sein müssen. Vielmehr sollen Konfliktpartner nicht als Feind wahrgenommen, sondern als Verhandlungspartner akzeptiert und respektiert werden. Die Befriedung oder der Beziehungserhalt kommt meistens nur in Fällen infrage, in denen eine weiterführende Zusammenarbeit erwünscht ist.

 

Parteiautonome Lösungsfindung

Entscheidend für eine von beiden Parteien tragfähige Konfliktbereinigung ist die parteiautonome Lösungsfindung. Arbeiten die Konfliktparteien gemeinsam an einer Lösung, steigert dies die gegenseitige Akzeptanz, weil der Lösungsweg nicht von Dritten vorgegeben worden ist. Freiwillige Vereinbarungen wirken sich generell positiv auf die Umsetzung und Vollstreckung einer Problemlösung aus; erfahrungsgemäss können damit zukünftige Konflikte und Rechtsstreitigkeiten vermieden werden. Problemlösungen nicht vorzugeben, sondern den Weg zu einer gemeinsamen Streitbeilegung aufzuzeigen, ist Kerngehalt des Mediators oder der Mediatorin an ihren Mediationssitzungen (Girsberger & Peter, 2019).

Das Harvard-Verhandlungskonzept

Das Harvard-Konzept ist von folgenden Grundsätzen geprägt:

  1. Trennung von Menschen und Sachfragen
  2. Trennung von Positionen und Interessen
  3. Generieren von Optionen für die Entscheidungsfindung
  4. Ergebnissen objektive Entscheidungskriterien zugrunde legen

Im Harvard-Konzept wird ein kooperativer Verhandlungsstil gepflegt (im Gegensatz zu einem kompetitiven). Es geht bei dieser Problemlösungsstrategie darum, kreative Lösungsansätze zu verfolgen, indem die Bedürfnisse und Interessen der Parteien eruiert werden. Wie der Name vermuten lässt, wurde die Problemlösungsstrategie an der Harvard Law School von Roger Fisher und seinem Team entwickelt und ist unter dem Namen „Getting to yes“ bekannt geworden. Das Konzept basiert auf der Überzeugung, dass die erfolgversprechendsten Verhandlungen aufgrund offener und kooperativer Kommunikation zustande kommen, indem die Parteien über Ihre Interessen und Bedürfnisse sprechen. Damit sollen nicht Positionen verteidigt, sondern die Interessen dahinter für den Verhandlungspartner sichtbar gemacht und in gewinnbringenderweise mit jenen des Gegenübers verknüpft werden (Girsberger & Peter, 2019, S. 88 – 89 Rz. 330 – 335).

Nebst den skizzierten vier Grundsätzen gibt es noch einen weiteren wichtigen Verhandlungsgrundsatz: Die BATNA*. Mit deren Hilfe soll die Verhandlungsgrenze festgelegt und die attraktivste Alternative im Falle einer gescheiterten Verhandlung festgelegt werden. Dabei wird die eigene BATNA mit dem gegnerischen Angebot verglichen, und nur wenn dieses besser ist als die eigene attraktivste Alternative, lohnt sich eine Übereinkunft (Girsberger & Peter, 2019, S. 83 Rz. 307).

Die Umsetzung des Harvard-Konzepts gestaltet sich indessen nicht so einfach, wie es sich anhört. Da der grösste Teil unseres Verhaltens durch das Unterbewusstsein (= System 1, schnelles System) gesteuert wird, stehen uns Emotionen und die eigenen Beschränkungen im Weg. Durch die Reduzierung von Lebenssachverhalten auf binäre Fragestellungen wenden wir häufig das limbische System 1 an, um schnelle Entscheidungen zu fällen. Verhandlungsstrategien wie die des Harvard-Verhandlungskonzepts verlangen aber nach nichtbinärer Denkleistung des Grosshirns und damit nach den Ressourcen des Systems 2 (= kognitives Denken, langsames System). Nur durch Abstraktion und Hirnleistung des „langsameren“ Systems kann der Mensch dem spontanen System-1-Reflex wirkungsvoll entgegentreten und ihn neutralisieren. Und das gilt für alle Grundsätze des Verhandlungskonzepts. Durch Training lassen sich allerdings gewisse, durch das System 2 erlernte Verhaltensweisen ins System 1 transferieren und stehen dann auch dem spontanen Arbeitsspeicher zur raschen Verfügung. Dieses Phänomen kennen wir beispielsweise vom Autofahren: Mussten anfänglich alle einzelnen Schritte mühsam kognitiv mit dem System 2 bereitgestellt, verarbeitet und umgesetzt werden – was zu einer ermüdenden Denkarbeit wurde – gingen die erforderlichen Handgriffe irgendwann in Automatismen über, nämlich ins System 1 und damit ins Unterbewusste (Girsberger & Peter, 2019, S. 94 – 95 Rz. 358 – 365). Leistungssportler – besonders bei komplexen technischen Disziplinen – wenden für ihre Sportart repetitive Bewegungsablauf-Trainings an, um sich diese ins System 1 einzutrainieren. Während eines Wettkampfes ist der Sportler aufgrund von Leistungsdruck, ultraschnellen Bewegungsabläufen, situativen Reflexen und erhöhter Adrenalinausschüttung nicht in der Lage, mit dem System 2 zu interagieren, das würde viel zu lange dauern. Er muss sich bei komplexen Bewegungsabläufen auf seine Intuition und die eingelernten Automatismen verlassen können, um die ganze physische und psychische Leistungsfähigkeit gebündelt abrufen zu können.

Fazit: Die Wirtschaftsmediation erfordert eine hohe kognitive und emotionale Fähigkeit der Mediationsfachperson, mit System 2 Konflikte zu erkennen, zu analysieren und je nach Gesprächsverlauf adäquat darauf zu reagieren. Unternehmen entscheiden sich bestimmt richtig, wenn sie bei heiklen Vermittlungsgesprächen mit ihren Angestellten Fachpersonal hinzuziehen (z.B. ausgebildete Mediatorinnen und Mediatoren). Sie sind in der Lage, dem Harvard-Konzept folgend die Grundsätze anzuwenden und einen wertvollen Beitrag zu leisten, wenn es um die Streitbeilegung geht.

*   Best alternative to a negotiated agreement = die beste Alternative zu einer verhandelten Übereinkunft.

Interessanterweise scheitern Nachfolgeregelungen insbesondere in Familienbetrieben nicht etwa an den finanziellen Umgebungsvariablen, sondern an den psychologischen. Sind sich die Familienmitglieder bei der Nachfolgeregelung in Bezug auf ihre Aufgaben im Unternehmen uneins, scheitern die Verhandlungen schon im Vorfeld der Nachfolgeplanung und es entstehen Konfliktparteien.

Hier bietet sich die Wirtschaftspsychologie und Wirtschaftsmediation an, um die familieninternen Konflikte sichtbar zu machen und hinter die Positionen der Parteien zu blicken. Nur so lassen sich dem Harvard-Konzept folgend (siehe vorheriger Reiter) die Interessen von den Personen lösen und hinter die Kulissen ihrer Interessen blicken. Manchmal geht es gar nicht so sehr um die Nachfolgeregelung selbst als um andere Konflikte, die sich während der Kindheit unter den Geschwistern oder zu den Eltern entwickelt haben, jetzt aber hervortreten und eine adäquate Nachfolgeregelung verhindert.

Bevor eine Nachfolgeregelung in Familienbetrieben erfolgreich angegangen werden kann, müssen zuerst interne Konflikte gelöst werden.