Um Konflikte begreifen zu können, muss menschliches Verhalten verstanden werden. Mit einem kleinen Exkurs in die Welt menschlichen Denkens soll nachstehend in knapper Form aufgezeigt werden, wie der Mensch denkt und weshalb er vielleicht anders reagiert, als man sich das erhofft hat.
Menschliches Verhalten
Unser Denken und Handeln
Um Konflikten im hektischen Alltag begegnen zu können, muss menschliches Verhalten verstanden werden. Menschen neigen dazu, ihr Handeln vor dem Hintergrund des emotional determinierten binären Codes als gut oder schlecht, angenehm oder unangenehm, ja oder nein und als schwarz oder weiss zu empfinden. Die im limbischen System* verankerten Ziele werden unbewusst für unser Handeln und Denken verwendet. Wir werden also stärker vom Unterbewusstsein gelenkt, als man dies gemeinhin annehmen möchte. Unser eigenes Verhalten wird stark vom Verhalten des Gegenübers geprägt. Das zeigt sich vor allem in unserer Sprechlage, der Körperhaltung, der Mimik und dem grundlegendsten Bedürfnis, vom Gesprächspartner verstanden zu werden. Dem tief verwurzelten Zugehörigkeitsbedürfnis des Menschen folgend haben wir grösseren Einfluss auf jemand, der seiner Ansicht nach glaubt, zur selben Gruppe zu gehören wie wir selbst. Diese wesentliche Erkenntnis im Umgang mit Menschen stellt eine zentrale Grundlage bei der Konfliktbewältigung im Alltag zwischen Parteien mit unterschiedlichen Ansichten dar (Girsberger & Peter, 2019, S. 49 – 50 Rz. 171 – 177).
Unser Gehirn unterscheidet funktional zwischen System 1 und System 2:
- Das System 1 fällt spontane Entscheide aus dem limbischen System und ist äusserst schnell, quasi unser Arbeitsspeicher, auf den jederzeit und verzögerungsfrei zugegriffen werden kann. Es benötigt wenig Rechenleistung und ist zuständig, um unser Überleben zu sichern und im Falle einer Gefahr sofort aufgrund unserer Lebenserfahrung und Instinkten zu reagieren. Es unterliegt Sinnestäuschungen, weil es nicht auf das System 2 zugreift und das, was wir als Erstes wahrnehmen, nicht weiter hinterfragt. Was System 1 gerade wahrnimmt, scheint ihm deshalb plausibel, solange es nicht der abgespeicherten Lebenserfahrungsdatenbank im limbischen System widerspricht; es reagiert dabei intuitiv und nicht immer rational.
- Das System 2 ist wesentlich langsamer, energiefressender und benötigt mehr Zeit, um zu einer Lösung zu kommen. Allerdings sind Entscheidungen aus diesem System rationaler und überlegter. Die Menschen vermeiden tendenziell, das ermüdende und anstrengendere System 2 bei der täglichen Denkleistung zu aktivieren. Ist eine Entscheidung aus Sicht von System 1 plausibel, glauben wir, System 2 dafür gar nicht zu benötigen, verlassen uns darum auf die im Unterbewusstsein schlummernden sowie eintrainierten Erfahrungen und Stereotypen.
Unser Handeln und Denken wird also vorwiegend von System 1 gelenkt, um das Gehirn nicht ständig zu überlasten (Kahneman, 2015, S. 33).
Kognitive Täuschungen
Als Verfügbarkeitsheuristik wird ein typischer Vorgang in unserem limbischen System (System 1) des Hirns bezeichnet. Je leichter wir uns an Referenzbeispiele erinnern, desto höher schätzen wir deren Häufigkeit bei entsprechenden Situationen ein. Unser Hirn verwendet dadurch Abkürzungen, um komplexe Lebenssachverhalte auf rasche, verfügbare und einfache Antworten zu reduzieren. Würde das Gehirn für jeden noch so kleinen Sachverhalt das System 2 bemühen müssen, wären wir wegen der fortwährenden Denklast ständig überfordert. Diese Abkürzungen des Gehirns führen allerdings zu Fehlannahmen bezüglich Häufigkeit oder Wahrscheinlichkeit von Ereignissen (Girsberger & Peter, 2019, S. 54 Rz. 193).
Eine weitere kognitive Täuschung – verwandt mit der Verfügbarkeitsheuristik – ist der sog. Ankereffekt. Ihm eigen ist der Umstand, dass Menschen einen Wert für eine unbestimmte Grösse erwägen, bevor sie diese Grösse auch tatsächlich abgeschätzt haben. In einer Vergleichsverhandlung setzt meistens das erste Angebot einen solchen Ankereffekt. Dieses Phänomen erfährt vor allem in der experimentellen Psychologie einen hohen Stellenwert (Kahneman, 2015, S. 152).
Interessant ist auch der Besitztumseffekt: Forscher fanden heraus, dass wir einem Objekt höheren Wert zumessen, wenn es uns selbst gehört. Wir sind also weniger bereit, für etwas mehr zu bezahlen, wenn es uns nicht gehört als was wir preislich erwarten, wenn wir es selbst besitzen und veräussern wollen. Dieses Verhalten hat ein Zusammenhang mit der weiter unten beschriebenen Verlustaversion (Kahneman, 2015, S. 356 ff.).
Confirmation Bias ist ein menschliches Phänomen, eine Entscheidung oder Meinung über eine Wahrnehmung mit Informationen zu hinterlegen, die unsere (vorgefasste) Meinung unterstützt. Informationen, die der vorgefassten Meinung zuwiderlaufen, werden ignoriert. Eine mit diesem Phänomen verwandte kognitive Fehlleistung ist die selektive Wahrnehmung: Unser System 1 überzeichnet die Wahrscheinlichkeit des Ereigniseintritts, wenn diese mit unserer gegenwärtigen Überzeugung korreliert (Kahneman, 2015, S. 108).
Die Risiko- und Verlustaversion beruht auf der menschlichen Chancen- und Risikobewertung eines Umstandes. Untersuchungen haben gezeigt, dass bei einer hohen Gewinn- oder Verlustwahrscheinlichkeit die Menschen eher dazu neigen, mehr Risiken einzugehen, um drohenden Verlust abzuwenden als Gewinn erzielen zu wollen. Anders verhält es sich bei geringer Gewinn- und Verlustwahrscheinlichkeit: Hier waren die Probanden in der Untersuchung eher bereit gewesen, hohe Risiken für die Gewinnerzielung einzugehen statt für die Verlustverhinderung aufzuwenden (Kahneman, 2015, S. 390 f.).
* Gehirnregion für unser emotionales und spontanes Empfinden / Verhalten.